Leben in der Transitzone

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In „Frau in den Wellen“ will Beatrix Kramlovsky den Spagat einer Frau zwischen Kinder und Karriere darstellen. Das geht leider schief.

„Joni, dir ist schon klar, dass du etwas anders lebst als andere Frauen rund um uns?“ Als Georg, Exmann der Hauptfigur, dies an einer Stelle gegen Ende des Buches sagt, möchte man nur noch entnervt mit den Augen rollen. Ja, verstanden, wir haben es hier mit einer selbstbewussten Frau zu tun, die keinen Pfifferling auf Konventionen gibt und konsequent ihren eigenen Weg geht. Sozusagen „ihren Mann steht“, wie sie wohl selbst sagen würde.

Joni Lanka, Kind der Sechziger Jahre und Hasch rauchendet Hippie-Eltern, hatte früh den ein paar Jahre älteren Georg geheiratet und war schwanger geworden, suchte „stabile Verhältnisse“ und ein festes Zuhause. Doch Georg ist Diplomat, der erste gemeinsame Umzug führt sie direkt nach Ostberlin kurz vor dem Mauerfall.

„Alle behaupten, Ostberlin sei speziell, Diplomaten und westliche Wirtschaftsleute bilden die Luxusvariante einer politischen Enklave, die stärker verflochten ist als in anderen Ländern. Es liegt wohl auch an dieser vermaledeiten Mauer, den Nadelöhren, die den privilegierten Ausländern mit ihrem engen Überwachungsparcours wie Mausgänge offenstehen.“

Die junge Frau gehört zu diesen „privilegierten Ausländern“, die Situation in Ostberlin wird daher nicht näher geschildert, ist nur Teil sehr kurzer Rückblicke.

Frau im Transitbereich

Die Geschichte findet hauptsächlich 2016 statt, dem Jahr des Brexit-Votums und der US-Wahl, bei der Trump das Rennen machte. Unsere Hauptfigur ist da Ende Vierzig, hat nicht nur eine bereits erwachsene Tochter, sondern auch einen Sohn im Teenageralter – entstanden ist dieser in der Milleniumsnacht während einer kurz aufgewärmten Liaison mit ihrem Exmann. Die Kinder leben bei Georg in Wien, während Joni als Regierungsberaterin um die Welt reist, nur alle paar Wochen ihren Nachwuchs besucht, sich ansonsten die Zeit in exquisiten Hotels und Privatwohnungen ihrer verschiedenen Liebhaber vertreibt, die sie als enge Freunde betrachtet. Sie lebt mehr oder weniger im Transitbereich internationaler Flughäfen, was sie beruflich genau macht, bleibt schwammig.

Als sie ihren pubertierenden Sprössling in diesem Sommer zu sich nach Kanada einlädt (dort hat sie seit kurzem ein Haus, ebenso wie in Südspanien und Berlin), lernt dieser zum ersten Mal ihren neuen Freund kennen. Sam ist Native Canadian und hat keine weiße Hautfarbe; das wird zu einem wichtigen Thema, weil Manuel später seinen Freunden Fotos vom Haus zeigt, auf dem seine Mutter und Sam sich gerade küssen. Als die Bilder in die Hände einer rechtsextremen Gruppe geraten, geht der Shitstorm gegen Joni und ihr glamouröses Leben los. Die gesamte Familie wird von der Polizei verhört und ihre Firma reicht Klage wegen Rufmord ein. Der Rassismus gegen Sam wirkt allerdings ein bisschen wie ein Feigenblatt, um der bisher eher drögen Handlung Schwung zu verleihen – denn eigentlich sind die Vorwürfe allesamt gegen Joni gerichtet, beziehungsweise werden nur diese erwähnt.

„Die sexuellen Beschimpfungen konnte Joni einigermaßen beseite wischen. Darin waren Frauen geübt. Aber die Vehemenz der Gewaltandrohung und die Selbstverständlichkeit, mit man ihr schnöde Gewinnsucht, Ausbeutung und Betrug vorwarf, erschreckte und schmerzte sie.“

Denn wie von Anfang an und bis zur letzten Seite dieses Romans dreht sich alles immer nur um: Joni. Joni, die nicht müde wird zu behaupten, sie hätte einen hohen Preis zahlen müssen, indem sie ihre Kinder zurückließ, um Karriere zu machen. Joni, die denkt, sie sei immer für ihre Kinder da, obwohl ihre Zuwendung hauptsächlich aus teuren Geschenken und Urlauben besteht und sich sowohl Tochter als auch Sohn mit den wirklichen Problemen und Fragen längst an die neue Frau ihres Vaters wenden. Joni die meint, sie müsse hier irgendeine „Doppelrolle“ zwischen Karrierefrau und Mutter spielen, obwohl sie vermutlich selbst am besten weiß, dass sie sich schon vor Jahren für eine Seite entschieden hat. „Du hasst es, diesem Spagat zwischen Kindern und Karriere ausgeliefert zu sein“, schreibt sie in einem Rückblick. Aber welcher Spagat denn eigentlich?

Fehlende Auseinandersetzung

Diese Frau, die im Klappentext als „willensstark“ und „unkonventionell“ beschrieben wird, ist letztendlich eine egozentrische, unsympathische und ziemlich unterkühlte Frau. Fair enough, an solchen Charakteren kann man sich als Leser*in durchaus reiben. Doch bleibt sie, dank des distanzierten Schreibstils der Autorin, gleichzeitig bemerkenswert blass und konturlos. Wie geht es ihr denn wirklich mit dem Zwiespalt, als erfolgreiche Frau mit internationalem Renommee nicht auch die fürsorgliche Mutter sein zu können, die ihre Babys abends in den Schlaf singt? Wie kam es dazu, dass sie sich dafür entschieden hat, den neugeborenen Sohn mit sechs Monaten zurückzulassen?

Wo bleibt die kritische Auseinandersetzung mit den Anforderungen – entscheidet man sich gegen Kinder, wird man als egoistisch betrachtet, bekommt man sie und macht trotzdem Karriere, als herzlos – denen Frauen sich auch heutzutage noch immer ausgesetzt sehen, Männer aber nicht? Sie bleibt lediglich eine Randnotiz. Denn Joni, die behauptet, zu oft als Rabenmutter bezeichnet zu werden, bekommt von ihrem Umfeld nicht ein einziges Mal Zweifel an ihrer Lebensweise vorgehalten. Exmann, Schwiegereltern, Freunde, ja sogar der pubertierende Sohn haben zu jedem Zeitpunkt vollstes Verständnis für ihr Verhalten, dass es irgendwann einfach nur unglaubwürdig wirkt. Auch die teilweise hölzernen Dialoge, die tiefe Freundschaften anzeigen sollen, tragen nicht dazu bei, dieser Figur näher zu kommen.

Der Gedanke hinter „Frau in den Wellen“ ist ein wichtiger, wird aber nur am Rande gestreift. So bleibt der Roman wenig mehr als der Bericht über eine Frau, die ständig im Flieger und Hotelzimmern sitzt, dabei meint, sich treu zu sein und doch letztendlich nirgendwo ankommt – schon gar nicht bei sich selbst.

Beatrix Kramlovsky
Frau in den Wellen
Hanserblau, 2022
Gebunden, 320 Seiten, 25 Euro

Titelbild: Marissa Grootes / Unsplash

Dieser Text erschien zuerst auf meinem Blog „Berlin-Journal Fräulein Julia